Klimadesinformation auf Twitter und die Musk-Übernahme

Im Oktober 2022 übernahm der Tesla- und SpaceX-Besitzer Elon Musk die Plattform Twitter. Seitdem häufen sich die Berichte über die veränderten Kommunikationsbedingungen für die Nutzer:innen: Die Moderation von Inhalten auf der Plattform wurde zurückgefahren. Musk hat gesperrte Accounts wieder zugelassen. Twitter hat den EU-Pakt gegen Desinformation aufgekündigt. In einer Untersuchung des ISD wurde eine Zunahme von antisemitischen Posts festgestellt. Und Musk selbst hat immer wieder über sein Account Falschinformationen und Verschwörungserzählungen an Millionen Follower verbreitet, insbesondere im Zusammenhang mit der US-Wahl.

Datengrundlage

Im Rahmen von NOTORIOUS haben wir in einer Longitudinalstudie Social-Media-Postings unter anderem von Twitter gesammelt, die den Zeitraum vor und nach der Musk-Übernahmen abdecken. Daher stellte sich die Frage: Lässt sich anhand dieser und eines in der Studie entwickelten Indikators feststellen, ob sich die Musk-Übernahme auf die Prävalenz von Klimadesinformation auswirkt?

Insgesamt wurden im Rahmen der Longitudinalstudie mehr als 3 Millionen Social-Media-Posts zum Thema Klima aus dem Zeitraum von Anfang 2019 bis März 2023 gesammelt – auf den vier Plattformen Twitter, Facebook, Telegram und Instagram. Diese wurden keywordgestützt erhoben. Unbereinigt enthalten sie daher auch einen Anteil an false positives, in denen es zum Beispiel Klimaanlagen in Autos geht.

Die Daten für Twitter haben wir für einen Vorher-Nachher-Vergleich in zwei gleich lange Zeiträume eingeteilt (insgesamt 419972 Posts).  Der Stichtag: der 27. Oktober 2022, der Tag der Übernahme (nach deutscher Zeit). Für beide Zeiträume – jeweils 154 Tage vor und nach diesem Datum – wurden die Twitter-Daten analysiert.

Anzahl der erfassten Twitter-Posts zum Thema Klima in den beiden Beobachtungszeiträumen

Erste Beobachtung: Die Gesamtzahl der erfassten themenbezogenen Tweets stieg nach der Übernahme deutlich an (250974 Posts gegenüber 168998 im Vergleichszeitraum).

Anteil verdächtiger Posts

Um den Anteil von Posts zu ermitteln , die Miss- oder Desinformation enthalten, wurden die Textinhalte der Posts automatisiert mit einer Datenbank bekannter Faktenchecks zum Thema Klima abgeglichen. Dieser Indikator hatte sich in der Longitudinalstudie als der verlässlichste zur automatisierten Bestimmung erwiesen. Posts, die eine große semantische Ähnlichkeit mit dem Kurztext eines Faktenchecks aufwiesen, wurden als verdächtig eingestuft.

Der Anteil auf diese Weise identifizierter Tweets stieg von 0,77 % im Zeitraum vor der Musk-Übernahme auf 0,96 % nach der Übernahme– ein Zuwachs von 0,19 Prozentpunkten. Zum Vergleich: Auf Facebook lag der Anstieg im gleichen Zeitraum bei 0,10 Prozentpunkten.

Anteil der als verdächtig eingestuften Twitter-Posts (rote Linie: Durchschnitt in den beiden Beobachtungszeiträumen vor und nach der Übername)

Eine Steigerung des Engagement in Form von Retweets und damit potenzieller Reichweite konnte hingegen nicht festgestellt werden. Die durchschnittliche Zahl an Retweets verdächtiger Posts blieb weitgehend konstant.

Am häufigsten geteilte Posts

Zur Kontrolle der automatisierten Auswertung über den Indikator wurden die am häufigsten weiterverbreiteten Tweets in beiden Zeiträumen um false positives bereinigt und manuell geprüft. Als „verdächtig“ wurden solche Beiträge kategorisiert, die in der Bewertung der Analyst*innen Klimawandelleugnung, Klimaskeptizismus, Verzögerungsnarrative, persönliche Angriffe, oder andere Formen der klimabezogenen Mis- und Desinformation enthielten. Codiert wurden die jeweils 50 nach Summe der Retweets und Quotes am häufigsten weiterverbreiteten Tweets. In beiden untersuchten Zeiträumen ist das Verhältnis annähernd gleich: Jeweils etwa die Hälfte der 50 Posts wurde als verdächtig eingestuft. Aber: Der Anteil der verdächtigen Posts in den Top 50 liegt damit in den beiden Zeitabschnitten deutlich höher als im Gesamtzeitraum 2019 bis März 2023. Im Gesamtzeitraum enthalten nur etwa 10% der meistgeteilten Posts in den Top 50 Miss- und Desinformation sowie persönliche Angriffe.  Erweitert man die Betrachtung auf die Top 200 der am meisten geshareten Posts des Gesamtzeitraums steigt dieser Anteil auf 28,5%.

Fazit

Trotz des gemessenen Anstiegs des Anteils der durch semantischen Abgleich als verdächtig markierten Posts ergaben sich insgesamt keine eindeutigen Hinweise auf eine sofortige oder drastische Veränderungen auf der Plattform nach der Musk-Übernahme, die eindeutig zu einem Anstieg an Klima-Falschinformationen geführt haben.

Der Anstieg könnte auch Folge eines langfristigen und möglicherweise plattformübergreifenden Trends sein oder durch einzelne Nachrichtenereignisse im Beobachtungszeitraum beeinflusst (etwa die Proteste von Umweltschützern in Lützerath Anfang 2023). Anderseits sind methodische Limitationen zu berücksichtigen: Der semantische Indikator erfasst nur einen Teil der tatsächlich verbreiteten Miss- und Desinformation. Ob die Teilmenge des deutschsprachigen Klima-Diskurses möglicherweise im Vergleich weniger stark oder erst später als andere Themenfelder von Veränderungen betroffen war, ließ sich anhand der vorhandenen Daten ebenfalls nicht feststellen und bedarf noch Anschlussforschung.

Dieser Beitrag von Fiete Stegers beruht auf einem Vortrag auf der re:publica 2025. Mit Dank an Philipp Keßling sowie Jan Beyer, Hanna Börgmann, Dominik Hammer, Felix Victor Münch, Christian Stöcker, Gregor Wiedemann, Jonas Ziock.