Titelbild des Projektberichts

„Medienspektakel” und „vergreiste Verwirrte”: Social-Media-Analyse zur Reichsbürger-Razzia

Anfang Dezember 2022 waren Durchsuchungen und Festnahmen im Zusammenhang mit einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung aus dem ideologischen Umfeld der „Reichsbürger” ein beherrschendes Diskussionsthema in den sozialen Netzwerken. Zur Analyse der Kommunikationsinhalte wurden im Rahmen von NOTORIOUS für diese Untersuchung öffentliche Postings von Facebook, Twitter/X und Instagram aus dem Umfeld der sog. Reichsbürgerszene erhoben und darin transportierte Desinformations-, Misinformations- und Deflektionsnarrative identifiziert. Dazu zählte unter anderem die Behauptung, dass es sich bei den Ermittlungen um inszenierte Ablenkungsmanöver handelte, sowie Aussagen, die die vermeintliche Harmlosigkeit der Beschuldigten betonten.

Die im Rahmen des des Projekts entstandene Analyse der Social-Media-Kommunikation durch die Autoren Fiete Stegers, Jonas Ziock und Christian Stöcker von der HAW Hamburg ist als PDF-Download hier sowie über die Website des Projektpartners ISD verfügbar.

Ein zentraler Betrachtungspunkt der Analyse stellte die Verbreitung beispielhafter Narrative und die Rolle einzelner Akteur*innen dar, insbesondere von Accounts aus dem Bereich der „Alternativen Medien“ sowie der Alternative für Deutschland (AfD). Im weiteren Fokus der Betrachtung lagen die jeweils am meisten geteilten bzw. mit „Gefällt mir” markierten Beiträge pro Plattform als Indikator für eine aktive Zustimmung der Nutzenden. Die Postings sind keywordbasiert, mittels Twitter-API bzw. mit Hilfe des Meta-Tools CrowdTangle durch das Leibniz Institut für Medienforschung / Hans-Bredow-Institut erhoben worden.

Zentrale Erkenntnisse:

  • Falsche Informationen wurden aktiv weiterverbreitet: Unter den 100 am häufigsten weiterverbreiteten Posts befanden sich zahlreiche Beiträge, die Des- sowie Misinformationsnarrative oder Deflektionsnarrative enthielten (Facebook: 59%, Twitter: 38%). 
  • Am häufigsten wurde ein Narrativ verbreitet, das die am Umschwung beteiligten Verdächtigen größtenteils als harmlose „Rentner“ porträtierte. Weitere häufig verbreitete Narrative interpretierten die Ermittlungsmaßnahmen als „PR-Inszenierung“, bzw. als (absichtliche) Ablenkung von einem Verbrechen, das ein Asylbewerber verübt hatte, oder sie betonten die vermeintlich geringe Zahl gefundener Waffen.
  • Auf Facebook und Twitter (heute X) stachen innerhalb der am häufigsten weiterverbreiteten Postings jeweils Accounts von AfD-Politiker*innen und „Alternativen Medien“ hervor als Verbreiter*innen von Desinformations-, Misinformations- und Deflektionsnarrativen.
  • Verbreiter*innen von Falschinformationen waren insgesamt erfolgreich: Unter den Top 20 der am meisten geteilten Accounts befanden sich solche, die streckenweise auf Desinformation, Misinformations- oder Deflektion gestützte Narrative verbreiteten. Auf Facebook (14 von 20 Accounts) war dies deutlicher als bei Twitter (10 Accounts).
  • Auf Instagram dominierten bei der Bewertung aufgrund erzielter Likes als Erfolgskriterium hingegen die Postings und Accounts etablierter Nachrichtenmedien. „Alternative Medien“ und AfD-Politiker*innen spielten keine hervorgehobene Rolle.